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Die Collage zeigt verschiedene Bilder von Eleonore Bösl | © Eleonore Bösl


Porträt einer Hundertjährigen

Der Diözesan-Caritasverband blickt auf 100 Jahre Entwicklungsgeschichte zurück, Eleonore Bösl auf 100 Jahre prall gefülltes Leben. Wir waren bei der rüstigen alten Dame im Caritas-Altenheim St. Willibrord in München-Schwabing zu Besuch.

Vor 100 Jahren wurden Tonfilm, Hubschrauber und Mixer erfunden. Reichsaußenminister Walther Rathenau wurde  ermordet. 
Das britische  Völkerbundsmandat für Palästina begann. Mit dem Marsch der Schwarzhemden von  Benito Mussolini auf Rom startete die faschistische Herrschaft in Italien. Bewegte Jahre folgten, in denen Caritas-Einrichtungen in München und Oberbayern entstanden und Eleonore Bösl aufwuchs. Die rüstige Dame lässt zum 100. Geburtstag des Diözesan-Caritasverbands ihr erfülltes Leben Revue passieren. Das hohe Alter hat ihr körperlich etwas zugesetzt, geistig ist sie beweglich und klar. Vor allem aber mit sich und dem Leben im Reinen.

Gespräch mit Eleonore Bösl

Mit 18 Jahren hat sie ihren Mann Ferdinand in der Oberpfalz kennengelernt. Sie erinnert sich an diese Zeit und die Jahre danach zurück. Schauen Sie selbst:

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„Am Nachmittag sind Termine mit meiner Mutter eher schlecht. Da ist sie meist auf Tour im Park, einkaufen oder Kaffee trinken“, meint Robert Bösl am Telefon. Der 65-Jährige besucht die 100-Jährige zweimal die Woche im Caritas-Altenheim St. Willibrord in München oder die beiden unternehmen etwas zusammen. „Er ist ein ganz ein Lieber“, beschreibt Eleonore Bösl ihr einziges Kind. „Ein richtiger Schatz. Robert arbeitet bei der Stadt München“, strahlt sie über das ganze Gesicht, obwohl ihr eine leichte halbseitige Lähmung seit einigen Tagen Kummer bereitet. Bösl sitzt an einem kleinen Tisch in ihrem Zimmer mit Terrasse und offenem Garten im Erdgeschoss des Caritas-Hauses mitten im lebhaften Stadtteil Schwabing. Überall sind Fotos von früher und auch aktuelle Bilder von Sohn, Enkel und Urenkel sowie Erinnerungen und Souvenirs aus ihrem Leben zu sehen. Mit 96 Jahren ist sie hier eingezogen – nachdem sie eine neue Herzklappe erhalten und die Narkose bei der Operation nicht vertragen hatte. 

 

Interesse an Politik und Kultur

„Es war schlimm am Anfang, denn ich habe bis zuletzt unabhängig in meiner Wohnung in München- Neuhausen gelebt und mich immer selbst versorgt. Mit 90 habe ich mich noch gut von einem Herzinfarkt erholt.“ Inzwischen habe sie Frieden mit dem Leben im Altenheim geschlossen. „Ich kann es ja nicht ändern und auch nicht sagen, dass ich mich hier nicht wohlfühle. Alle sind sehr nett und bemüht.“ Leider habe sie im Lauf der Jahre keine neuen Freunde gefunden. Das liege vermutlich daran, dass viele der Bewohnerinnen und Bewohner entweder dement seien oder im Gegensatz zu ihr nicht mehr so viel Interesse an einem Austausch über Politik und Kultur hätten. „Frau Bösl ist eine Einzelgängerin. Sie braucht ihre Privatsphäre und unternimmt ihre Ausflüge auch gern allein“, bemerkt Natasa Hajrudini, Wohnbereichsleiterin im Caritas-Altenheim. 


„Sie braucht zwar Hilfe beim Duschen, aber die Haare macht sie sich selbst am Waschbecken, dreht sie auf Lockenwickler und steckt die grauen Locken dann zu einer hübschen Frisur zusammen.“

Natasa Hajrudini, Wohnbereitsleiterin im Caritas-Altenheim St. Willibrord


Austausch, Gesellschaft und Rückzug im Altenheim

Die alte Dame sei  Schneiderin gewesen und engagiere sich in der Nähstube im Haus. „Bei unseren Festen und Veranstaltungen schaut sie kurz vorbei, sagt Hallo und zieht sich dann in ihre eigenen vier Wände zurück“, schildert Hajrudini. Sie beobachte allerdings schon, wie Eleonore Bösl immer wieder kleine Smalltalks führe, Zeitungen mit anderen austausche oder Kreuzworträtsel im offenen Bereich löse. „Auch bei der Gymnastik macht sie manchmal mit.“ Einen stützenden Rollator lehne die grazile 100-Jährige, die noch munter durch das Altenheim spaziert, allerdings kategorisch ab. „Sie braucht zwar Hilfe beim Duschen, aber die Haare macht sie sich selbst am Waschbecken, dreht sie auf Lockenwickler und steckt die grauen Locken dann zu einer hübschen Frisur zusammen.“ Adrett und gepflegt sieht Eleonore Bösl aus und die dezente Schminke in ihrem Gesicht trägt dazu bei, dass sie frisch und gesund wirkt.

 

Krieg, Bomben und Hunger

Dabei zwickt und zwackt es überall. „Rücken, Bauchspeicheldrüse, Nieren und Herz lassen nach. Es ist nicht mehr das, was es mal war“, sagt Bösl trocken und ohne Selbstmitleid. „Mein Herrgott kann mich jederzeit holen. Das ist völlig in Ordnung. Ich hatte ein erfülltes Leben und kein Wunsch ist offengeblieben.“ Ihre 100 Lebensjahre seien schnell vorübergegangen. Als am schönsten habe sie die Zeit nach der Rente empfunden. „Da habe ich mit meinem Mann Ferdinand viele Reisen und Ausflüge nach Österreich und in die Schweiz gemacht. Meine Lieblingsorte sind das Tessin und Locarno“, schwelgt sie in Erinnerungen. Die schwerste Zeit in ihrem Leben seien die Herzinfarkte ihres Ehemannes gewesen. Von zweien habe er sich erholt, beim dritten Infarkt sei er 1999 gestorben.  Die Rückschau auf den Zweiten Weltkrieg macht ihr ebenfalls zu schaffen. „Ich war damals in einer kaufmännischen Ausbildung in München und musste wegen der Bombenangriffe wieder zu meinen Eltern nach Regensburg zurück.“ Sie schildert, wie Familie und Nachbarn viele Nächte verängstigt im Keller ausharrten: „Wir hörten die Flieger und dachten, dass die Decke gleich herunterkommt.“ Und dann noch der Hunger, denn zu essen habe es damals auch kaum etwas gegeben. „Nur die Bezugsscheine. Die Woche 100 Gramm Fleisch. Es war unvorstellbar.“ 

Traurige Erinnerungen an die Kindheit

An ihre Kindheit erinnert sich Eleonore Bösl ebenfalls nur ungern. Sie sei ein schüchternes, sensibles Mädchen gewesen und habe ständig Prügel bezogen. „Den Grund dafür kann ich mir bis heute nicht erklären“, bemerkt sie gefasst, aber sichtlich berührt. „Natürlich war ich auch mal ungezogen oder bin weggelaufen. Aber ich war doch nicht böse und hätte Watschn und Schläge verdient. Ich war tatsächlich ein einsames und trauriges Kind.“ Daher habe sie mit 18 Jahren sofort die Möglichkeit ge-nutzt, schnell von zu Hause wegzukommen, und ihren Mann geheiratet. An die bescheidenen Verhältnisse in Untermiete in München-Bogenhausen und an die erste eigene kleine Mansardenwohnung in München-Laim denkt sie immer wieder gern zurück. Als Ferdinand Bösl aus dem Krieg zurückkam, sei es wieder aufwärtsgegangen. „Ich habe im Lauf der Jahre einfach gemerkt, dass ich mir mehr zutrauen kann. Auch als Hausfrau und Mutter.“


„Mein Herrgott kann mich  jederzeit holen. Das ist völlig in Ordnung. Ich hatte ein erfülltes Leben und kein Wunsch ist offengeblieben.“

Eleonore Bösl


Kritik an der Gesellschaft

Die Entwicklung unserer Gesellschaft macht Eleonore Bösl Sorgen. „Früher gab es viel mehr Respekt und Anstand. Jetzt ist alles so leichtlebig. Werte und Moral haben stark nachgelassen.“ Allerdings seien die Menschen ihr gegenüber sehr hilfsbereit, wenn sie unterwegs sei, konstatiert Bösl trotz ihrer kritischen Haltung. Die Aufgeregtheit um die Corona-Pandemie halte sie für reichlich übertrieben und da sind noch zwei weitere Dinge, die Eleonore Bösl gar nicht gefallen: „Singen kann ich nimmer.“ Dabei habe sie so eine schöne Stimme gehabt. „Alles weg. Und das Essen schmeckt mir auch nicht mehr so gut“, empört sich die 100-Jährige. Das kann Pflegefachkraft Hajrudini nur bestätigen: „Es gibt Sachen, die Frau Bösl besonders mag, und dann isst sie das Doppelte. Es gibt aber auch Dinge, die ihr nicht so munden. Dafür hat sie in ihrem Kühlschrank in der Küchenzeile ihres Zimmers immer kleine Leckereien und etwas zum Naschen gebunkert“, amüsiert sich die 55-Jährige, die Bösl seit dem Tag ihres Einzugs in St. Willibrord vor vier Jahren kennt und achtsam begleitet.