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„Liebesgabenverteilung“: In der Lebensmittelstelle des Diözesan-Caritasverbands in der Heßstraße 26 wurden USA-Spenden an Bedürftige verteilt. Im Hintergrund Direktor Oskar Jandl, ca. 1946.  | © (Fotograf unbekannt, Archiv des DiCV München und Freising e.V., Fotosammlung)

„Das ist die Not der schweren Zeit!“

Der Diözesan-Caritasverband in der Nachkriegszeit

Caritasdirektor Oskar Jandl beschrieb die Aufgaben, die der Caritasverband der Erzdiözese München und Freising e. V. für sich in der direkten Nachkriegszeit sah: Zuallererst die volkserzieherische Arbeit, „… das Zurückführen zur Erkenntnis von Wert und Würde der menschlichen Persönlichkeit, zur Achtung und Liebe gegen die Mitmenschen und zur Anerkennung und Bejahung des Lebensrechtes (…) auch bei anderen Nationen und Rassen.“[1] Daneben die Behebung der großen materiellen Massennot, darunter die Versorgung von Flüchtlingen, Heim- und Zusammenführung von Evakuierten und Verschleppten, Ausfindigmachen von Vermissten, materielle und seelische Hilfe für die Ausgebombten, Hilfe für deutsche Kriegsgefangene und Kriegsversehrte, ebenso für die sog. heimatlosen Ausländer (DPs), Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Betreuung der Arbeitslosen, Bekämpfung der sittlichen Gefährdung, Sorge für die Alten, Sicherstellung von Ernährung und Bekleidung, Mitwirken bei der Behebung der allgemeinen Wohnungsnot.[2]

Wesentliche Voraussetzung für die freie Ausübung und das Wirken des Caritasverbands in der Erzdiözese war die Zusammenarbeit mit der amerikanischen Militärregierung. Die auf Unabhängigkeit vom Staat ausgerichteten kirchlichen Hierarchien waren nach dem Krieg größtenteils intakt geblieben und hatten weder durch den Nationalsozialismus größeren Schaden erfahren noch waren sie durch die Alliierten entnazifiziert worden. Es gelang daher der Erzdiözese und dem Caritasverband, schnell zu handeln und das Vertrauen der Besatzungsmacht zu erlangen. So konnten bereits seit März 1946 katholische Vereine ohne die Genehmigung der Militärregierung ihre Arbeit wiederaufnehmen.[3] Die Zusammenarbeit mit den ausländischen Wohlfahrtsverbänden war nun grundlegend für die Organisation und den Aufbau der umfassenden Hilfeleistungen. Für die katholische Bevölkerung in der amerikanischen Besatzungszone war dies insbesondere die NCWC (National Catholic Welfare Conference), die auch die großzügigen Spendenaktionen der USA koordinierte.

Auf der Vor-Ort-Ebene wirkte in jeder Pfarrgemeinde die Pfarrcaritas, die in größeren Bezirken und Städten zu Bezirksverbänden zusammengeschlossen waren. Es wurden Pfarrcaritasausschüsse in den Pfarrgemeinden gebildet, die die lokalen karitativen Organisationen vertreten und die notwendigen Caritasaufgaben vor Ort feststellen sollten. Es wurden Caritaskollekten abgehalten und die persönliche Caritasmitgliedschaft eingeführt, welche auch in Gottesdiensten beworben wurde. Als zusammenfassende und leitende Stelle diente der Diözesan-Caritasverband. Fachlich war die Nachkriegscaritas in fünf Fachgebiete gegliedert: die Erziehungsfürsorge, die Fürsorge für Wandernde und Ortsfremde, die Armenpflege und wirtschaftliche Fürsorge, die Gesundheitsfürsorge und die Gefangenen- und Gefährdetenfürsorge.[4]

Für ein Problem, das erst in den 1960er und 1970er Jahren sein volles Ausmaß erreichen sollte, gab es bereits ein erstes Verständnis: der zunehmende Mangel an Fachkräften. So warb ein Schreiben des Deutschen Caritasverbands dafür, besonders junge Christen als Helferinnen und Helfer zu gewinnen und einzusetzen: „…die durch die eigne Not und Trauer nicht bitter geworden sind, die nicht ein unwiederbringliches Verlorenes, sei es Besitz oder Hoffnung, bejammern, sondern durch den Verlust freier geworden sind für ein wesentlicheres Leben. Sie werden den alten caritativen Pfarrorganisationen der Vinzenz- und Elisabethvereine einen neuen Auftrieb geben (...). Aus diesem Kreis werden auch die Helfer für die überpfarrlichen caritativen Fachvereine und die Anwärter für eine berufliche Ausbildung und Fürsorgetätigkeit auszulesen sein.“ Auch sollten die Aufgaben gleichmäßig an Mitarbeitende aus dem Ordens- und dem Laienstand verteilt werden, um die Überlastung der Orden zu verhindern und gut geschulte Laienkräfte nicht zu verlieren. [5]

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[1] Archiv des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising e. V., AR 945, S. 95. Am 28. Oktober 1948 sprach Domkapitular Josef Weißthanner, der damalige 1. Vorsitzende des Diözesan-Caritasverbands, am Vatikansender über die vier großen Nöte der Zeit: Wohnungsnot, Nahrungsnot, Kleidungsnot und Arbeitsnot. Unter dem Eindruck der schier unlösbaren Probleme zitierte er auch Adelbert von Chamissos Kanon aus der Zeit der Napoleonischen Kriege: „Das ist die Not der schweren Zeit! Das ist die schwere Zeit der Not! Das ist die schwere Not der Zeit! Das ist die Zeit der schweren Not!“, aus: Caritasdienst 1949, S. 2.

[2] Archiv des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising e. V., AR 945, S. 96.

[3] Archiv des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising e. V., AR 945, Schreiben von Generalvikar Buchwieser an die Seelsorgestellen der Erzdiözese vom 15. März 1945.

[4] Archiv des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising e. V., AR 755, S. 21 ff.

[5] Archiv des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising e. V., AR 755, S. 21 ff.

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