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Glückshafen-Stand der freien Wohlfahrtspflege auf dem Münchner Oktoberfest, 1956. | © (Fotograf unbekannt, Archiv des DiCV München und Freising e. V., Fotosammlung)

Sozialisten und Katholiken

Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege in Bayern und München 1924

Oktoberfest 1926, „Eine kleine Spende für die Münchner?“, rufen die 20 Sammler und klappern mit ihren Sammelbüchsen. Auf der Theresienwiese laufen sie von Bude zu Bude und bitten um Geld. Sie kommen von der Vereinigung „Arbeitsgemeinschaft für öffentliche und freie Fürsorge“. Die Sammlung gestaltete sich schwierig, es kommen aber immerhin 8.380 RM zusammen, so viel, wie drei Arbeiter in einem Jahr verdienen. Das Geld wird „schlüsselmäßig“ an die Fürsorgeverbände verteilt. Im gleichen Jahr ist die Arbeitsgemeinschaft – zusammen mit dem „Verein für freiwillige Armenpflege“ – an der Organisation des Oktoberfestglückshafens beteiligt. An diesem Stand werden noch heute Lose für den guten Zweck verkauft. Im Jahr 1926 wurden insgesamt 37.612 RM erwirtschaftet.

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Was hier auf dem Oktoberfest passierte, zeigt den Pragmatismus der Wohlfahrtsverbände. Die Weimarer Republik war geprägt von großen weltanschaulichen Konflikten: Sozialisten und Kommunisten standen im Parlament der katholischen Zentrumspartei bzw. der Bayerischen Volkspartei gegenüber; in der Jugendarbeit wetteiferten die katholischen Pfadfinder mit der Sozialistischen Arbeiterjugend und den Völkischen wie der Hitlerjugend. Selbst bei Kindergärten waren Standorte umkämpft, um die Kleinkinder von Beginn ihrer Erziehung an von den Einflüssen der weltanschaulich konkurrierenden Wohlfahrtsanbieter fernzuhalten.

Trotz aller Differenzen arbeiteten die Wohlfahrtsorganisationen auf bestimmten Ebenen eng zusammen, wie etwa bei den Sammlungen auf dem Oktoberfest oder – seit 1924 – in der „Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege“.

Die neu geschaffene Arbeitsgemeinschaft verfolgte für ganz Bayern ein umfassendes Programm. Die erbrachten Leistungen sollten koordiniert werden, um Doppelunterstützungen zu vermeiden, Fortbildungsveranstaltungen für Pflegerinnen und Pfleger wurden organisiert, die Öffentlichkeitsarbeit verstärkt und eine theoretische und praktische Durchdringung der Fürsorge wurde angeregt. Zudem wurden hier öffentliche Mittel und erhaltene Spendengelder auf die einzelnen Vereine verteilt.[1] Im Jahresbericht des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising e. V. von 1924 hieß es dazu: „Mehr denn je werden öffentliche und private Fürsorge vertrauensvoll zusammenarbeiten, gegenseitig miteinander Fühlung nehmen und gegenseitig sich beraten müssen. Darum ist es so sehr zu begrüßen, daß in der Großstadt München das Städt. Wohlfahrtsamt und die priv. Organisationen unter ausdrücklicher Wahrung der Selbstständigkeit zur Förderung des gesamten Fürsorgewesens zu einer Arbeitsgemeinschaft sich zusammengeschlossen haben.“[2]

Die Zusammenarbeit der Wohlfahrtsorganisationen war besonders bei großen sozialen Herausforderungen notwendig, wie es sie etwa in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gab. Unter anderem bei der Flüchtlings-, Evakuierten- und Heimkehrfürsorge arbeiteten die Verbände eng mit öffentlichen Behörden, anderen Wohlfahrtsorganisationen und auch zahlreichen nationalen und internationalen Hilfsorganisationen und v. a. mit den Besatzungsmächten zusammen. Arbeitsgemeinschaften waren in dieser Situation „erwünscht“, jedoch sah man eine Unterstellung, beispielsweise unter das Rote Kreuz, oder die Übernahme von Aufgaben mit behördlichem Charakter kritisch.[3]

Auch heute ist die ARGE eine wichtige Partnerin der öffentlichen Wohlfahrt und ein Zusammenschluss der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege. Auf der Ebene der Landeshauptstadt München gehören neben dem Diözesan-Caritasverband, die Arbeiterwohlfahrt, der BRK-Kreisverband München, die Diakonie in München und Oberbayern, die Israelitische Kultusgemeinde und der Paritätische Wohlfahrtsverband dazu. Auf Landesebene vertritt der Landescaritasverband Bayern die Interessen der Caritas. Die ARGE tritt für Menschen in sozialen Notlagen ein und ist Teil der politischen Kommunikation zu sozialen Fragen.[4]

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[1] Rudloff, Wilfried: Konkurrenz, Kooperation, Korporatismus, Wohlfahrtsvereine und Wohlfahrtsverbände in München 1920-1933, in: Wollasch, Andreas (Hrsg.): Wohlfahrtspflege in der Region. Westfalen-Lippe während des 19. und 20. Jahrhunderts im historischen Vergleich, Paderborn 1997, S. 165-190, hier S. 182, 189.

[2] Archiv des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising e. V., AR 115, Verbandsakten, Nr. 27-4a, Jahresbericht 1924 des Katholischen Caritasverbandes der Erzdiözese München-Freising.

[3] Archiv des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising e. V., AR 755, Organisation der Caritas in der Nachkriegszeit, II. Zeitaufgaben mit weiterer Sicht, 6. Zusammenwirken mit anderen Trägern der Fürsorge.

[4] Vgl. Internetressource: https://www.arge-freie-muenchen.de/index.php/ueber-uns.html, letzter Zugriff 15.02.2022.