Fast hundert Jahre hat es gedauert, bis mit Gabriele Stark-Angermeier im März 2018 erstmals eine Frau hauptberufliche Caritas-Vorständin wurde. Doch Frauen haben bereits entscheidend zur Entstehung des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising beigetragen und die Arbeit der Caritas in 100 Jahren wesentlich geprägt: als Mitarbeiterinnen, Ehrenamtliche oder Ordensschwestern in den Kindertageseinrichtungen, der Flüchtlingshilfe, in den Sozialstationen, Nachbarschaftshilfen und der Pfarrcaritas, in der sozialen Beratung und der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen, in der Bildungsarbeit an den beruflichen Schulen und als ehrenamtliche Vorstandsfrauen. 83 Prozent der Mitarbeitenden sind heute Frauen, davon ein Drittel in der ersten Führungsebene und mehr als die Hälfte in der zweiten. Stellvertretend für viele zehntausend Frauen in 100 Jahren bis heute seien hier einige beispielhaft vorgestellt; wissend, dass jede Einzelne von den Vielen unabhängig von Rang und Namen ihren Dienst am Nächsten aus christlicher Überzeugung und vielfach unentgeltlich doch gleichermaßen wertvoll und geschätzt eingebracht hat. Wer waren die Frauen in 100 Jahren Caritasarbeit in der Erzdiözese?
Die gebürtige Schwedin zog der Liebe wegen 1890 nach München und nutzte ihre etablierte gesellschaftliche Stellung, um sich karitativ zu engagieren: Sie gründete 1895 den Marianischen Mädchenschutzverein, den heutigen Katholischen Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit InVia und 1897 die Katholische Bahnhofsmission, heute beides Fachverbände des Diözesan-Caritasverbands. Im Herbst 1909 begann sie eine sozial-karitative Frauenschule aufzubauen, die eine der ersten Ausbildungsstätten für soziale Arbeit in Deutschland war. „Soziale Arbeit darf nicht im Dilettantentum stecken bleiben, denn sie ist verantwortungsvolle Arbeit am Menschen, mehr wie jede andere,“ war Ellen Ammann überzeugt. Ihre Tochter Maria Ammann leitete die Frauenschule von 1929 bis 1961. Diese wurde im Juli 1970 in die heutige Katholische Stiftungshochschule München integriert. Als eine der ersten Frauen gehörte Ellen Ammann von 1919 bis 1932 dem Bayerischen Landtag an und vertrat dort die Tätigkeitsbereiche Jugendfürsorge, Gesundheitswesen, öffentliche Fürsorge und Wohlfahrtspflege.
Während die Arbeit in sozialen Diensten aufgrund der traditionellen Rolle der Frau nahe lag, mussten leitende Funktionen oft hart erkämpft werden. 83 Prozent der Mitarbeitenden sind heute Frauen, jede dritte Führungskraft in der ersten Entscheidungsebene ist eine Frau, immerhin 50 Prozent sind in der zweiten Führungsebene vertreten. Es mag überraschen: doch von Beginn an waren Frauen auch im Vorstand aktiv. So sind 1909 für den Stadtverband als Vorläufer des Diözesan-Caritasverbands „Josepha Sedlmayr, Kommerzienrats- und Brauereibesitzersgattin; Johanna Freiin von Lerchenfeld, Privatiere, Vorstandsdame des St. Elisabethenvereins; Caroline Freiin von Raeßfeldt, Ministerialratstochter, Vorstandsdame des St. Elisabethen-Vereins sowie Fanny Ebenböck, Privatiere und Vorstandsdame des St. Marien-Ludwig-Ferdinand-Vereins“ als Vorstandsmitglieder erwähnt.
Auch später noch setzten Frauen ihre gesellschaftliche Position zugunsten sozialer Anliegen ein wie zum Beispiel die 1918 geborene Emma von Axthalb. Die Kindergärtnerin, Hortnerin und Sozialarbeiterin war in der Jugendgerichts- und Erziehungshilfe an den Jugendämtern Erlangen, Nürnberg und München tätig, später in leitender Funktion in der Familienfürsorge. Seit 1980 intensivierte sie als Vorsitzende des SKF München die Arbeit für obdachlose Frauen, von 1987 bis 1992 brachte sie sich im Vorstand des Diözesan-Caritasverbands ein.
Allerdings arbeitete der siebenköpfige Vorstand unter dem Vorsitz eines vom Bischof bestellten hauptberuflichen Caritasdirektors, der zugleich Priester sein musste, bis 1992 ausschließlich ehrenamtlich. In § 4,1 der Geschäftsordnung vom 11.12.1978 ist dazu vermerkt: „Die Tätigkeit der Vorstandsmitglieder, mit Ausnahme des Vorsitzenden und des Caritasdirektors, ist ehrenamtlich.“
Engagierte Christinnen wie Thea Schroff und Hanna Stützle oder Marianne Strauß setzten entscheidende Impulse im Caritasverband: Die 1926 geborene Münchnerin Thea Schroff machte 1949 an der Fachhochschule für Sozialpädagogik ihr Staatsexamen und unterrichtete. Angetrieben von der Not der Frauen gründete sie 1951 den heutigen Sozialdienst Katholischer Frauen (SKF) als "Katholischer Fürsorgeverein für Frauen, Mädchen und Kinder". Die Sozialpädagogin kümmerte sie sich um den Aufbau von Caritas-Kreisstellen, Mutter-Kind-Einrichtungen und örtlichen Verbänden, sie schulte ehrenamtliche Vorstände und setzte sich 1962 für den gesetzlichen Rechtsanspruch auf Sozialhilfe ein. Als geschäftsführendes Vorstandsmitglied (1971 - 1992) kämpfte Schroff für die Einrichtung der Bayerischen Schwangerenberatungsstellen. Der damalige Caritasdirektor Prälat Neuhauser erinnert sich an Thea Schroff „als Urgestein in der Frauenarbeit“. Lohn der Arbeit: 1980 erhielt sie den Bayerischen Verdienstorden.
Marianne Strauß begleitete in ihrer Zeit im Caritasvorstand (1979 - 1984) regelmäßig Menschen mit Behinderungen auf Ausflügen mit dem Sonnenzug, zuletzt im Februar 1984 nach Rom. Bayerns Landesmutter stand mit dem damaligen Caritasdirektor Franz Sales Müller mit der Caritas-Sammelbüchse vor St. Michael. Der damalige Vertreter des Regionalteams München im Caritasvorstand und spätere Caritasdirektor Peter Neuhauser erinnert sich: „Einmal hab‘ ich in der Zeitung gelesen, dass Ministerpräsident Franz Josef Strauß eine für die Caritas und ihre Schutzbefohlenen nachteilige Änderung im Sozialhilfegesetz einbracht hat. Das hab‘ ich seiner Frau im Caritasvorstand g’sagt. Sie hat wohl bei ihrem Mann dagegengewirkt, so dass der Passus wieder rausg‘strichen worden ist.“ Er habe Marianne Strauß als sehr angenehm, sehr klar in der Formulierung empfunden. „G’scheit war’s, eine Stütze im Vorstand“.
In einem Nachruf von 1984 ist zu lesen: "Sechs Jahre gehörte Marianne Strauß zum Vorstand des Caritasverbands für die Erzdiözese München und Freising. Sie fehlte bei kaum einer Sitzung und fand immer Fälle, um die sie sich persönlich kümmern wollte. (…) Durch den Tod von Frau Strauß verlieren wir in unserer Sozialarbeit eine tragende Stütze. Noch kurz vor ihrem Tod sagte sie uns ihre Unterstützung unserer Arbeit, gerade auch für die durch ungewollte Schwangerschaft in Not und Konflikt geratene Mütter zu.“
Das Engagement von Frauen (und Männern!) in der Sozialen Arbeit der Caritas ist in ihrem christlichen Selbstverständnis begründet. Unzählige Heilige und Heiligmäßige haben sich in mehr als 2.000 Jahren aus christlicher Nächstenliebe Hilfe suchender Menschen angenommen. Die wohl bekannteste Heilige Elisabeth von Thüringen hat sich ebenso sozial engagiert wie Ordensschwestern in karitativ tätigen Frauenorden bis heute. In München machten sich zum Beispiel Die Armen Schulschwestern von Unserer Lieben Frau im Bereich der Bildung verdient, Die Armen Franziskanerinnen von Mallersdorf in Kindergärten und Altenheimen ebenso wie die Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul oder die Dienerinnen der Göttlichen Vorsehung Schönbrunn in der Arbeit für und mit Menschen mit Behinderungen. Zahlreiche karitativ tätige Vereine sind dem Caritasverband angeschlossen.
Durch das Zweite Vatikanische Konzil rückte der soziale Auftrag der Pfarrgemeinden wieder stärker in den Fokus. Hanna Stützle baute als Vorsitzende des Diözesanrats der Katholiken (1982 bis 1998) und Mitglied des Caritasvorstands (1987 – 1992) Brücken zwischen Pfarrcaritas und verbandlicher Caritasarbeit. Mit großem Engagement habe sie „das kirchliche Leben im Erzbistum aktiv mitgestaltet. Ihr besonderes Augenmerk galt Menschen in Not, sowohl in persönlicher Zuwendung als auch im Aufbau entsprechender Einrichtungen,“ würdigt sie im Nachruf der Erzbischof.
Seit 1989 zeichnete der Caritasverband der Erzdiözese München und Freising auch einige Frauen für ihr herausragendes ehrenamtliches Engagement im Sinne des Caritaspatrons mit der Pater-Rupert-Mayer-Medaille in Gold aus: Stellvertretend für die Verdienste der Armen Schulschwestern beim Caritassammeln wurde 2011 Schwester Theresina geehrt. Zu den Ausgezeichneten gehören auch zwei langjährige ehrenamtliche Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Caritas & Soziales: Margareta Kallisch (2008) und Hilga Wolf (2019). „Dieses karitative Selbstverständnis aus der Nachfolge Jesu heraus ist auch die Grundlage Ihres langen ehrenamtlichen Engagements, liebe Frau Wolf,“ laudatierte der damalige Caritasdirektor Georg Falterbaum.
Erst mit der neuen Caritas-Satzung wurden ab 1992 drei hauptamtliche Vorstände bestellt, die nun wiederum bis Februar 2018 ausschließlich Männer waren. Caritasdirektoren waren bis 2017 vom Bischof berufene Priester. Erste Caritasvorständin wird am 1. März 2018 die Diplom-Sozialpädagogin Gabriele Stark-Angermeier, die seit 1995 als Gleichstellungsbeauftragte und bereits ab 2002 in verschiedenen Leitungsfunktionen tätig war.