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Spendenbild der zweiten deutschlandweiten Sammlung zur Winterhilfe durch die Deutsche Liga der freien Wohlfahrtspflege im Winterhalbjahr 1932-1933. | © Zeichner unbekannt; Archiv des DiCV München und Freising e.V., Fotosammlung

Erzwungene Nächstenliebe

Das Winterhilfswerk unter dem NS-Regime

Aus dem Schlussbericht 1933/34 des WHW, Ortsgruppe München-Stadt: „Der Einführung der Eintopfgericht-Opfergabe lagen zwei Gedanken zugrunde: die Erziehung des Deutschen Volkes zur Einfachheit und die Zuwendung des dadurch Ersparten an notleidende Volksgenossen. Die Eintopfgericht-Opfergabe gelangte am ersten Sonntag im Monat November zum ersten Male zur Erhebung. In der Folgezeit war grundsätzlich jeder erste Sonntag im Monat „Eintopfgericht-Sonntag“. Die Erhebung der Opfergabe erfolgte in den Haushaltungen, Gaststätten und Kaffeehäusern. In den Haushaltungen hatte der Eintopfgericht-Sonntag eine besondere Note und eine gewisse Weihe, wie sie allen den Tagen eigen ist, an denen sich die Menschen zu etwas Hohem, Erhabenen bekennen. Und die Deutschen Hausfrauen haben dabei bewiesen, dass sie nicht zurückstehen wollen, wenn und wo es gilt, empfundene Volksverbundenheit durch die Tat zu bekunden. Das Eintopfgericht fand bald in den Küchenzettel der Haushaltungen selbstverständliche Aufnahme. Dies ist umso erfreulicher, als eine Überwachung nach dieser Richtung nicht stattfand, die freiwillige Einstellung dazu also massgebend war.“ 
Im Bereich der Ortsgruppe München kamen so allein aus den Haushalten in den Monaten Nov. bis März 345.521,37 RM zusammen.  Durch Aktionen wie diese hatten die Wohlfahrtsorganisationen NSV und WHW unter dem NS-Regime materielle Sammelbeträge erwirtschaftet, von denen konfessionelle, freie Organisationen nur träumen konnten. Aber das hatte seinen Preis.

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Die wenigsten hätten 1933 erwartet, dass das NS-Regime mit der Schaffung des Winterhilfswerks des Deutschen Volkes (WHW) eine der alltäglichsten Erscheinungen Nazideutschlands ins Leben rief. Mit großangelegten Aktionen, einem volkstümlichen Anstrich und rasanter Erfolgsbilanz wurde das Hilfswerk schnell zum Inbegriff von Wohlfahrtsarbeit unter den Nationalsozialisten.[1] Dabei standen diese dem Wohlfahrtswesen, öffentlichem wie freiem, bis 1933 alles andere als freundlich gegenüber: es schwäche den Kampfwillen, mache die Menschen untüchtig, und schädige die Gemeinschaft.[2]

Das galt zumindest unter dem Weimarer System. Nach Einverleibung, Verbot oder Regulierung der freien Wohlfahrtsverbände – die Caritasverbände erhielten 1933 Bestandsschutz zugesprochen, blieben aber bis 1945 in angespannter Beziehung zum gleichgeschalteten Wohlfahrtswesen[3] – traten diese vor allem im materiellen Sektor zunehmend in den Hintergrund.[4]  Das von Hitler initiierte und von Goebbels geleitete Winterhilfswerk, das „größte Sozialwerk aller Zeiten“, passte zwar eigentlich nicht zur Marschrichtung der NS-Volkswohlfahrt.[5] Doch sollte es eines der größten Unternehmungen des Regimes werden - im Dienste der Propaganda, zur Finanzierung von Staatsaufgaben und zur sozialpolitischen Regulierung.[6]

Auch in Bayern war das Hilfswerk von der Landesleitung bis zu den Ortsgruppen systematisch durchorganisiert. Kaum jemand konnte sich den Aufforderungen zur Beteiligung entziehen. Es wurden Richtlinien für die Verteilung der erhaltenen Mittel aufgestellt. Im Bereich der katholischen Kirche sammelten Pfarrämter Unterstützungsanträge, auch Einrichtungen konnten Anträge stellen, die über den Diözesan-Caritasverband zur Entscheidung an das Winterhilfswerk weitergeleitet wurden. Für die Ausgabe gab es festgelegte Stellen: das Arbeitsamt, das Wohlfahrtsbezirksamt und die Verbände der Bezirksarbeitsgemeinschaft, darunter den Diözesan-Caritasverband.[7] Spezielle Aktionen wie etwa die Einführung des „Eintopfgericht-Sonntags“, oder die Übernahme von Patenschaften für arme Kinder, die über den Winter mit Kleindung und Lebensmitteln unterstützt werden sollten, appellierten an das Gewissen und den Zusammenhalt der „Volksgemeinschaft“. Dazu gab es Ausgabeaktionen für Naturalien: Kartoffeln, Milch, Mehl, Kohlen u.a. wurden gegen Gutscheine an bedürftige Personen ausgegeben. Sachspenden, etwa Kleidung, wurden den Verteilstellen direkt übergeben. Immer war aber in der stets begleitenden Propaganda „das Winterhilfswerk“ die gebende und regulierende Institution, während den traditionellen Wohlfahrtsverbänden die Beteiligung an der Ausführung verblieb. Entsprechend finden sich in den Akten des Diözesan-Caritasverbands auch zahlreiche Anträge und Ausgabebelege, Listen und Abrechnungen der täglichen Unterstützungsleistungen für Einrichtungen und bedürftige Einzelpersonen.

Im Lauf der Jahre kannten die Sammlungen, ihre Formen und Anlässe  keine Grenzen mehr und nahmen an Häufigkeiten zu, was zunehmend auf Kritik stieß. Aus Spenden wurden de facto Steuern. 1942 war ein Punkt erreicht, an dem die Praxis der WHW-Sammlungen geändert werden musste, wollte man dem Ansehen der Partei unter den „Spendern“ nicht weiter schaden.[8] Zumal die Zahl der Unterstützten seit 1933 kontinuierlich sank, während sich die durchschnittlichen Leistungen erhöhten.[9]

Über den gesamten Zeitraum schwankte die Einstellung der Verbände der freien Wohlfahrtspflege gegenüber dem WHW zwischen verhaltener Kritik, pragmatischer Zusammenarbeit und offener Ablehnung. Zu Beginn hatte man seitens der Caritasverbände die Gefahr, die vom NS-Regime ausging, noch unterschätzt.[10] Schließlich blieben die konfessionellen Wohlfahrtsverbände in das von der NSV dominierte Wohlfahrtssystem involviert. Doch langfristig litt die Spendenbereitschaft unter der erdrückenden Präsenz des WHW.[11] Der offensichtlichste Bruch lag jedoch in der prinzipiellen Ablehnung des Menschenbildes der NS-Fürsorge, da es radikal gegen grundlegende Prinzipien der christlichen Werteorientierung, welche der Arbeit der Caritas zugrunde liegt, verstieß. Wie Hans Wollasch vom Deutschen Caritasverband bereits Ende 1933 bemerkt, ist der Mensch „[…] mehr als nur ein Produkt von ererbter Anlage und Milieu“. Die religiöse Welt des Caritasverbands liegt „[…] im Rasselosen“.[12]

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[1] Vgl. Vorländer, Herwart. NS-Volkswohlfahrt und Winterhilfswerk des Deutschen Volkes, in: Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte 34 (3), S. 341-380, 1986. S. 342.
[2] Vgl. ebd. 1986, S. 341.
[3] Vgl. Kuhlmann, Carola. Konfessionelle Wohlfahrtsorganisationen in der NS-Zeit zwischen konkurrierender Kooperation, christlicher Identitätswahrung und Verweigerung, in: Lob-Hüdepohl, Andrea/Eurich, Johannes (Hg.) Aufblitzen des Widerständigen: Soziale Arbeit der Kirchen und die Frage des Widerstands während der NS-Zeit. Stuttgart 2018, S. 77-97. S. 80.
[4] Vgl. Tennstedt, Florian. Wohltat und Interesse: Das Winterhilfswerk des Deutschen Volkes. Die Weimarer Vorgeschichte und ihre Instrumentalisierung durch das NS-Regime, in: Geschichte und Gesellschaft (2), S. 157-180, 1987. S. 176.
[5] Vgl. Vorländer 1986, S. 373.
[6] Vgl. Tennstedt 1987, S. 157. Gleich im ersten Jahr wurde die beachtliche Summe von 358 Millionen Reichsmark gesammelt. (vgl. Vorländer 1986, S. 365) Unter dem Motto „Kampf gegen Hunger und Frost“ wurden Reichswehr, Polizei, sowie SA und SS, aber auch die Organisationen und Einrichtungen der noch bestehenden freien Wohlfahrtsverbände genutzt, um Geld- und Sachspenden im ganzen Land zu akquirieren. (Vgl. Tennstedt 1987, S. 177) Und das war eine noch vergleichsweise geringe Summe. Die jährlichen Einnahmen wurden kontinuierlich gesteigert, und glaubt man den offiziellen Berichten, erreichte man im Winter 42/43 die gigantische Summe von 1,6 Milliarden RM. (Vgl. Hammerschmiedt 1999, S. 399).
[7] Vgl. Archiv des DiCV München und Freising e.V., AR 160.
[8] Vgl. Hammerschmiedt 1999, S. 398f.
[9] Vgl. ebd. 1999, S. 400.
[10] Vgl. Neher, Peter. Zwischen Anpassung und Widerstand: Soziale Arbeit der Kirchen während der NS-Zeit. Vortrag am Deutschen Historischen Museum, Berlin am
11.06.2015.
[11] Vgl. Tennstedt 1987, S. 180.
[12] Vgl. Kuhlmann 2018, S. 86.