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Krankenanstalt des III. Ordens in München, Schwesternhaus und Verwaltung, Fotopostkarte: Außenansicht Straßenfront, um 1930? | © Foto: Carl Büchner; Archiv des DiCV München und Freising e.V., Fotosammlung

Beteiligung an erzwungenen Arbeitseinsätzen

Zwangsarbeit bei kirchlichen karitativen Einrichtungen der Erzdiözese München und Freising

Für das Erzbistum München und Freising konnte im Zuge von Recherchen Anfang der 2000er Jahre insgesamt der Einsatz von mindestens 659 ausländischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern belegt werden, die im Zeitraum 1939 bis 1945 in 62 kirchlichen Einrichtungen eingesetzt wurden. Hiervon waren knapp 219 Kriegsgefangene. Aufgrund der schlechten Quellenlage ist allerdings eine Dunkelziffer anzunehmen. Während ein größerer Teil dieser Arbeitskräfte in der Landwirtschaft eingesetzt wurde, ist für 16 kirchliche karitative Einrichtungen im Bereich der Erzdiözese München und Freising, - alle Mitglieder des Diözesan-Caritasverbands - der Einsatz von insgesamt 79 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern nachgewiesen.

Eine übergeordnete Rolle des Diözesan-Caritasverbands bei der Organisation des Zwangsarbeitereinsatzes in karitativen Einrichtungen ist weder erforscht noch belegt. Anzunehmen ist, dass auch bei den karitativen Akteuren das Interesse, kriegs- und überlastungsbedingt fehlende Arbeitskraft ersetzen zu können, mögliche kritische moralische Einwände gegenüber dem Zwangsarbeitereinsatz überwog.

Ein großer Teil der Zwangsarbeiter im karitativen Bereich war im Münchner Krankenhaus des Dritten Ordens eingesetzt. Hier allein waren 40 Zivilarbeiterinnen aus zahlreichen Nationen tätig, hauptsächlich im Hauswirtschaftsbetrieb der Klinik. Sie stammten v.a. aus der Sowjetunion, der Ukraine und Polen sowie aus weiteren osteuropäischen Staaten, außerdem aus Frankreich, den Niederlanden und aus Italien. Zudem waren im Krankenhaus vier Kriegsgefangene im Arbeitseinsatz, über die jedoch weitere Informationen fehlen.

In den Erziehungseinrichtungen und in den zahlreichen Einrichtungen der geschlossenen Fürsorge im Erzbistum waren weniger Zwangsarbeitende beschäftigt. Im Münchner Katholischen Kinderheim Blaues Kreuz etwa waren es zwei Zwangsarbeiterinnen. Beide waren im Kinderheim tätig, in der Pflege sowie im Haushalt. Eine der Frauen stammte aus einem nicht mehr ermittelbaren osteuropäischen Land, die andere war Niederländerin. Im Landerziehungsheim Grunertshausen im Landkreis Fürstenfeldbruck mussten vier Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine und Polen in der Landwirtschaft und im Haushalt arbeiten, zehn Kriegsgefangene unbekannter Herkunft waren außerdem als geschlossenes Kriegsgefangenenkommando in den Räumlichkeiten des Heims untergebracht und ebenfalls in der zugehörigen Landwirtschaft eingesetzt.

Viele dieser Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter trafen erst ab Sommer 1944 in den Einrichtungen ein. Es ist davon auszugehen, dass die meisten keineswegs freiwillig nach Deutschland gekommen waren. Insbesondere in den späteren Kriegsjahren führten die deutschen Besatzungsbehörden im eroberten Ausland Zwangsrekrutierungen mit äußerster Brutalität durch. Betroffen waren gerade jüngere Menschen: im Erzbistum München und Freising waren über die Hälfte der Opfer unter 26 Jahre alt. Oft waren sie das erste Mal im Ausland und erstmals von ihrem Elternhaus getrennt, es befanden sich unter den ermittelten Personen auch mehrere Kinder. Die Dauer der Tätigkeit fiel unterschiedlich aus, zwischen ein paar Tagen bis hin zu mehreren Jahren.

Wie bei Industrie- und Handwerksbetrieben wurden den kirchlichen Trägern und Einrichtungen die sogenannten „Fremdarbeiter“ nicht zwangsweise zugewiesen, sondern die Einrichtungen beantragten Arbeitskräfte aktiv bei den lokal zuständigen Stellen, meist bei den Arbeitsämtern. Ein Unrechtsbewusstsein darüber, dass man Menschen unfreiwillig und unter schlechten Bezahlungs- und Lebensbedingungen zur Arbeit in der anstaltseigenen Landwirtschaft, Hauswirtschaft oder in seltenen Fällen in der Pflege verwendete, war offenbar auch bei den Kirchen nicht vorhanden. Es gab eine klare Hierarchie zwischen den Westarbeiterinnen und Westarbeitern und den polnischen und sogenannten Ostarbeiterinnen und Ostarbeitern, welche in Behandlung und Rechtsposition nochmals deutlich schlechter gestellt waren.

Beispiele von guten Kontakten und sogar Freundschaften zwischen früheren Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern und Vertretern der kirchlichen Einrichtungen der Erzdiözese München und Freising über das Kriegsende hinaus sind zwar überliefert, je nach Ort und Vorgesetzten fielen die persönlichen Erfahrungen jedoch sehr unterschiedlich aus. Auch diese Arbeitskräfte waren während der NS-Zeit den Forderungen der Vorgesetzten nach hoher Arbeitsleistung, deren Beschwerden bei den Behörden, Willkürentscheidungen und körperlicher Misshandlung ausgesetzt. Auch eine „anständige“ Behandlung änderte nichts am prinzipiellen Zwangscharakter des Arbeitseinsatzes.

Es dauerte lange, bis die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter für das erlittene Unrecht auch nur ansatzweise entschädigt wurden. Wie die deutsche Wirtschaft sahen sich um das Jahr 2000 die Kirchen mit der eigenen NS-Vergangenheit konfrontiert. Die Deutsche Bischofskonferenz beschloss am 28./29. August 2000, einen eigenen Entschädigungsfonds einzurichten, aus dem alle ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter jeweils 5.000 DM erhalten sollten. Mit der organisatorischen Durchführung des Entschädigungsverfahrens wurde der Deutsche Caritasverband beauftragt. Zugleich übertrug die Bischofskonferenz den Diözesen die Verantwortung für die erforderlichen Recherchen. Im Erzbistum München und Freising übernahm das Archiv des Erzbistums die Aufgabe, nach ehemaligen Betroffenen zu suchen. Unterstützend wurde eine wissenschaftliche Kommission berufen, eine befristete Forschungsstelle eingerichtet und Konferenzen zur inhaltlichen Aufarbeitung abgehalten. In mehrjähriger Arbeit konnten viele ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ausfindig gemacht und Gelder ausgezahlt werden.[1]

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[1] Die Angaben des vorliegenden Textes basieren im Wesentlichen auf Volker Laube: Fremdarbeiter in kirchlichen Einrichtungen im Erzbistum München und Freising 1939-1945. Eine Dokumentation (= Schriften des Archivs des Erzbistums München und Freising, hrsg. v. Peter Pfister, Bd. 7), Regensburg 2005. Vgl. außerdem Peter Pfister (Hrsg.): Katholische Kirche und Zwangsarbeit. Stand und Perspektiven der Forschung (= Schriften des Archivs des Erzbistums München und Freising; Bd. 1), Regensburg 2001; Klaus Barwig/Dieter R. Bauer/Karl-Joseph Hummel (Hrsg.): Zwangsarbeit in der Kirche: Entschädigung, Versöhnung und historische Aufarbeitung (Hohenheimer Protokolle Bd. 56), Stuttgart 2001; Karl-Joseph Hummel/ ‎Christoph Kösters: Zwangsarbeit und katholische Kirche: 1939-1945. Geschichte und Erinnerung, Entschädigung und Versöhnung, Paderborn/München 2008. Zur Entschädigung durch die katholische Kirche in Deutschland vgl. u. a.: Matthias Drobinski: Aus Verlegenheit gut. Zwangsarbeiter: Katholische Kirche als Vorbild, Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom 16.2.2001; Ferdinand Michael Pronold: Der Entschädigungsfonds der deutschen Bischöfe und die kirchlichen Suchdienste: Arbeitsauftrag, Arbeitsweise und bisherige Recherche-Ergebnisse, in: Barwig/ Bauer/ Hummel: Zwangsarbeit in der Kirche, S. 249-253; Hermann-Josef Braun: Zwangsarbeiter bei Einrichtungen der katholischen Kirche: Methodik der Spurensuche, in: www.regionalgeschichte.net, URN: urn:nbn:de:0291-rzd-007480-20201210-4.