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Menschen warten vor der Flüchtlingsberatungsstelle im Caritashaus in der Heßstrasse, 1947. An dieser Stelle standen zehn Jahre zuvor „nichtarische Katholiken“ vor der Geschäftsstelle des St. Raphaelsvereins in der Hoffnung, das Land noch verlassen zu können. | © (Fotograf unbekannt, Archiv des DiCV München und Freising e. V., Fotosammlung)

Hilfe für Verfolgte

Unterstützung von Katholiken jüdischer Herkunft

Ein wichtiges Kapitel der Hilfe für Verfolgte durch Angehörige der Caritasverbände bilden die Aktivitäten für Katholiken jüdischer Herkunft im Rahmen der Auswandererhilfe. Dies waren Menschen, deren Familien früher dem Judentum zugehört hatten, und die vor oder nach 1933 per Taufe zum Christentum konvertiert waren. Im damaligen Sprachgebrauch wurden sie als sogenannte „nichtarische Christen“ bzw. als „nichtarische Katholiken“ bezeichnet. Die Betroffenen selbst verstanden sich als Christen, auch die evangelische sowie die katholische Kirche taten dies. Von den Nationalsozialisten wurden diese Personen der NS-Rassenideologie entsprechend allerdings als Juden behandelt und verfolgt. Schon ab 1933 waren Bittgesuche von Katholiken jüdischer Herkunft auch bei Michael Kardinal von Faulhaber, Erzbischof von München und Freising, eingegangen.[1]

Während die „katholischen Nichtarier“ aktiv von kirchlicher Seite, auch vonseiten des Diözesan-Caritasverbands, unterstützt wurden, gab es kaum allgemein-christliche Hilfsakte für die weit größere Gruppe der verfolgten Juden. Einen Hinweis auf die tief verwurzelte Skepsis, oft auch Abneigung gegenüber dem Judentum liefert eine Aussage Kardinal Faulhabers. Obwohl er in seinen Adventspredigten im Winter 1933 das Judentum vermeintlich in Schutz nahm, trennte er streng zwischen sogenannten „nichtarischen Christen“ und „Juden“. Während er der ersten Gruppe Hilfe zukommen lassen wollte, verteidigte er in Bezug auf die zweite Gruppe noch 1936 explizit das prinzipielle Recht des Staates gegen die „Auswüchse des Judentums“, welches für ihn mit „Bolschewismus“, „Kommunismus" und Gefahr für die staatliche Ordnung gleichzusetzen war, vorzugehen.[2]

Eine erste Anlaufstelle fanden die „katholischen Nichtarier“ im St.-Raphaels-Verein, einem zentralen Fachverband des Deutschen Caritasverbands. Wie in einigen anderen deutschen Städten betrieb der 1871 gegründete Verein auch in München eine Beratungsstelle, unter der Trägerschaft des lokalen Caritasverbands. Hier konnten die Auswanderungswilligen „katholischen Nichtarier“ sich beraten und anderweitig unterstützen lassen.[3] In diesem Bezug ist besonders die Rolle von August Kett zu würdigen. Der Diplomvolkswirt war seit Anfang der 1930er-Jahre zur Entlastung des Direktors als Mitarbeiter beim Diözesan-Caritasverband angestellt. Außerdem leitete er die Beratungsstelle des St.-Raphaels-Vereins, beide in der Münchner Heßstraße 26 situiert.[4]

Nach den Novemberpogromen 1938 verschärfte sich die Judenverfolgung gravierend. Zehntausende wurden in die Konzentrationslager, u.a. in das KZ Dachau, verschleppt. Die Hilfegesuche von Christen jüdischer Herkunft, die sich an den Caritasverband und an den Münchner St.-Raphaels-Verein richteten, nahmen an Dringlichkeit und Verzweiflung zu. Die Beratung der Ausreisewilligen führte August Kett für den Münchner St.-Raphaels-Verein gemeinsam mit mehreren Ordensschwestern und einzelnen Laien durch. Auch Gelder für die Auswanderung und Lebensunterhalt wurden gesammelt.[5] Der Verein besorgte die Schriftstücke und Bescheinigungen, die für die legale Emigration benötigt wurden. Er arbeitete mit staatlichen Stellen und ausländischen Hilfskomitees zusammen und war in München über die Person Ketts zugleich in ein überkonfessionelles, im Verborgenen agierendes Hilfsnetzwerk für Verfolgte eingebunden.[6] Wie vielen jüdischen Verfolgten katholischen Glaubens der St.-Raphaels-Verein in der Phase von November 1938 bis zu seinem Verbot im Jahr 1941 helfen konnte, ist nicht bekannt. Allein 1938/1939 reisten mithilfe des Vereins reichsweit 3.850 „nichtarische“ Katholiken aus. Bis August 1939 konnten deutschlandweit 200 in den KZ inhaftierte „nichtarische“ Katholiken mithilfe des St.-Raphaels-Vereins freikommen und auswandern. Auch für München sind zuverlässige Zahlen nicht vorhanden. Bekannt ist, dass sich im Januar 1939 mindestens 98 Menschen über den Münchner St.-Raphaels-Verein versuchten, ihre Auswanderung zu realisieren.[7] August Kett setzte sich auch für die Rettung der Kinder ein. Auf seine Initiative hin wurden bis Mitte 1939 mindestens 17 Kinder, die nicht gemeinsam mit ihren Eltern auswandern konnten, von der Münchner Geschäftsstelle des St.-Raphaels-Vereins aus für einen sogenannten Kindertransport angemeldet. Mindestens fünf von ihnen gelang letztlich die Emigration, u. a. in die USA.[8]

Einen Versuch, Hilfe für Katholiken jüdischer Herkunft in größerem Maßstab zu organisieren, stellte die sogenannte „Brasil-Aktion“ dar. Seit Frühjahr 1939 setzte sich Kardinal Faulhaber für die Vermittlung mehrerer Tausend Visa ein, die „nichtarischen Katholiken“ die Einreise nach Brasilien erleichtern sollten. Im Auftrag Faulhabers war August Kett im März 1939 federführend an Verhandlungen mit dem brasilianischen Vertreter beim Internationalen Arbeitsamt, Helio Lobo, in Genf beteiligt und erhielt die Zusage für 3000 Einreisevisa aus Deutschland. 1000 hiervon sollten „nichtarischen“ deutschen Katholiken zur Verfügung gestellt werden, die sich schon im europäischen Ausland, viele in Italien, befanden. Über eine Zweigstelle des St.-Raphaels-Vereins in Rom sollte die Weiterreise nach Brasilien organisiert werden. Später schaltete sich Papst Pius XII. in Verhandlungen mit der brasilianischen Regierung ein. Die Regeln für die Visavergabe basierten allerdings auf antisemitischen Kriterien, waren so streng und die Zusage der brasilianischen Regierung so wenig bindend, dass im Rahmen der Brasil-Aktion letztlich nur wenigen Menschen die lebensrettende Auswanderung gelang.[9]

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[1] Schönlebe, Dirk: München im Netzwerk der Hilfe für 'nichtarische' Christen (1938-1941). Schriftliche Hausarbeit zur Erlangung des akademischen Grades des Magister Artium, http://www.landesbischof-meiser.de/downloads/Hilfe.pdf, hier S. 29-32.
[2] Schreiben an Kardinal Bertram, Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz,
23.10.1936, in: Volk, Ludwig: Akten Kardinal Michael von Faulhabers. 1917-1945. Band II: 1935-1945, Mainz 1978, S. 179 f. zit. n. Schönlebe: München im Netzwerk, S. 31 f.; ferner: Schrafstetter: Flucht, S. 175.

[3] Schönlebe: München im Netzwerk, S. 91 f. Zu weiteren Zahlen in vgl. ebd., S. 25 f.; ferner: Reutter, Lutz-Eugen: Die Hilfstätigkeit katholischer Organisationen und kirchlicher Stellen für die im nationalsozialistischen Deutschland Verfolgten. Hamburg 1969, (= Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Hamburg) S. 251 und S. 254; ders.: Katholische Kirche als Fluchthelfer im Dritten Reich. Die Betreuung von Auswanderern durch den St. Raphaels-Verein. Recklinghausen: Paulus-Verlag 1971, S. 61.

[4] Vgl. u.a. Jahresbericht 1934, in: Archiv des DiCV München und Freising e. V., AR 544.

[5] Schönlebe: München im Netzwerk, S. 107 f.

[6] Schönlebe: München im Netzwerk, S. 94 f. In den geheimen Papieren des für diese Netzwerk zentrale Quäker-Ehepaar Cohen wird Kett verschlüsselt sehr häufig genannt. Zahn, Peter (Hrsg.) Hilfe für Juden in München: Annemarie und Rudolf Cohen und die Quäker 1938–1941, München 2013, S. 9; Schrafstetter, Susanna: Flucht und Versteck: Untergetauchte Juden in München – Verfolgungserfahrung und Nachkriegsalltag, Göttingen 2015, S. 174 f.

[7] Schönlebe: München im Netzwerk, S. 95 f, S. 107 ff.; Reutter, Hilfstätigkeit, S. 251- 254; Reutter, Fluchthelfer, S. 135. Bei Eder, Manfred: Helfen macht nicht ärmer. Von der kirchlichen Armenfürsorge zur modernen Caritas in Bayern, Altötting 1997, S. 426, S. 428 wird behauptet, dass die Geschäftsstelle „Juden und anderen Verfolgten des NS-Regimes zur Flucht in Ausland verhalf und“ in Zusammenarbeit mit dem St.-Raphaels-Verein etwa 100 jüdische Familien und Einzelpersonen durch die Vermittlung der Auswanderung vor dem sicheren Tod bewahrt werden“ konnten. Vgl. auch Koch, Georg: Der Baum der Caritas ist nicht erst in neuer Zeit gepflanzt worden, in: ders. (Schriftleiter): 50 Jahre Caritas-Verband 1922-1972, München 1972, S. 59-75, S. 71. Allerdings gibt es keine Belege, dass anderen Verfolgten als den Katholiken jüdischen Hintergrunds bei der Ausreise geholfen wurde.

[8] Schönlebe: München im Netzwerk, S. 95 f, S. 107 ff.

[9] Schönlebe: München im Netzwerk, S. 111 ff.; Schrafstetter: Flucht, S. 175.; Zahn: Hilfe für Juden, S. 9.