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Die Anlagen der Assoziationsanstalt Schönbrunn, Panoramaansicht 1961 | © Foto: Gustl Tögel; Archiv des DiCV München und Freising e. V., Fotosammlung

Zwangssterilisation und Krankenmord – zwei Einrichtungen

Zwangsarbeit bei kirchlichen karitativen Einrichtungen der Erzdiözese München und Freising

In der von der St. Josefskongregation betriebenen Anstalt Ursberg in Schwaben, die bayernweit verschiedene Filialen unterhielt und die zeitweise größte karitative Anstalt der katholischen Kirche in Deutschland darstellte, waren die Meldebögen der Aktion T4 im November 1939 eingetroffen. Der Hintergrund der Erfassung war zunächst nicht bekannt, Leitung und Personal wurden aber misstrauisch. Erst durch Berichte von anderen Einrichtungen erfuhr man später von Morden in den Tötungsanstalten, die auf die Verlegungen folgten. Die damalige Oberin und die Anstaltsärztin der Ursberger Einrichtung verzögerten die Rücksendung der Meldebögen für fast ein Jahr.[1] Im Oktober 1940 wandte sich die Anstaltsärztin an das Reichsinnenministerium, um sich für die gefährdeten Bewohnerinnen einzusetzen. Insbesondere für die besonders von der Deportation bedrohten Menschen mit der zeitgenössischen Diagnose der „Schwachsinnigkeit“ betonte sie, dass diese auf Spezialgebieten hochwertige Arbeit ohne jegliches Entgelt leisten würden.[2] Als kurz darauf dennoch Verlegungen aller auf Kosten des Landesfürsorgeverbandes Schwaben versorgten Pfleglinge in eine staatliche Heil- und Pflegeanstalt angekündigt wurden, sprach die Ursberger Generaloberin bei geistlichen und weltlichen Stellen vor, um die geplanten Verlegungen zu verhindern, scheiterte aber hiermit.[3]

Die Schwestern der St. Josefskongregation in Ursberg konnten rechtzeitig 50 Pfleglinge, die auf Kosten der öffentlichen Fürsorgeverbände untergebracht waren und verlegt werden sollten, auf Anstaltskosten weiterversorgen (sog. Anstaltsfreiplatz). Die Anstaltsleitung forderte außerdem 1940/41 beim Bayerischen Innenministerium bereits verlegte Pfleglinge zurück – und war in 70 Fällen hiermit erfolgreich. Darüber hinaus versuchten die Ursberger Schwestern, Bewohnerinnen und Bewohner zurück in ihre Familien zu bringen und durch Änderungen in der Aktenführung weitere Pfleglinge vor der Kenntnis der Behörden zu verbergen. Im Haus Maria Linden in Vaterstetten gelang es, durch Verstecken auffälliger Kranker und durch irreführende Monatsberichte 74 Pfleglinge vor dem Abtransport zu bewahren. Durch solche Maßnahmen konnte dennoch nur ein kleiner Teil der gefährdeten Bewohnerinnen und Bewohner gerettet werden.

Zum Teil begleiteten Ordensschwestern bayerischer Einrichtungen die Pfleglinge noch bei den Verlegungen und beruhigten diese, auch wenn von Seiten der Kirche jegliche Mitwirkung an den Transporten untersagt wurde. Das Ursberger Pflegepersonal verweigerte zwar die Kooperation, wurde aber von der Anstaltsleitung Eglfing-Haar unter Druck gesetzt. Insgesamt fielen in den Jahren 1940 bis 1945 fast 380 Bewohnerinnen und Bewohner der Ursberger Anstalten den NS-Euthanasie-Morden zum Opfer. Daran erinnert der heutige Träger der weiterhin bestehenden Einrichtungen, das Dominikus-Ringeisen-Werk in Ursberg, heute unter anderem mit einem Gedenkstein.[4]

Anders als in Ursberg verhielt sich die Anstaltsleitung in der Assoziationsanstalt Schönbrunn. Rund 30 km entfernt von München auf einem ehemaligen Schlossgut bei Röhrmoos gelegen, verfügte die von einer Schwesternkongregation geführte Einrichtung über hohe Aufnahmekapazitäten. Hier wurden zu Kriegsbeginn um die 1.400 „Pfleglinge“ mit geistigen und körperlichen Behinderungen betreut. Im Zuge militärischer und anderweitiger Nutzung wurden im Laufe des Krieges einige katholische Anstalten beschlagnahmt und die geistlichen Leitungen zum Teil ihres Amtes enthoben. Wohl um einen solchen Vorgang abzuwenden, schloss der langjährige Schönbrunner Anstaltsdirektor, ein Geistlicher, im Frühjahr 1940 weitgehende Nutzungsverträge mit der Stadt München, die daraufhin Senioren aus städtischen Altenheimen und Patienten aus den überlasteten Kliniken hier unterbrachte. 1941 wurde außerdem eine Ausweichstelle des Münchner Tuberkulose-Krankenhauses eröffnet, sowie zuletzt nach Bombentreffern 1944 das Krankenhaus Dritter Orden nach Schönbrunn verlegt. Um die entsprechend umfangreichen benötigten Betten- und Unterbringungskapazitäten freizumachen, wurden in Transporten mehrere hundert Pfleglinge mit körperlichen und geistigen Behinderungen aus Schönbrunn nach Eglfing-Haar verlegt. Viele von ihnen wurden daraufhin im Rahmen der NS-„Euthanasie“  ermordet. Dass die Verlegungen für die betroffenen Bewohnerinnen und Bewohner die konkrete Gefahr der Ermordung bedeutete, war der Anstaltsleitung bekannt - und dieses Risiko wurde bewusst in Kauf genommen. Die Aktenführung der Anstalt weist jedoch zugleich darauf hin, dass die Schwestern, womöglich unter Beteiligung des Anstaltsdirektors selbst, durch Änderungen in den Akten versuchten, ihre Pfleglinge vor einer Selektion für die Aktion T4 zu schützen. Nachgewiesen ist, dass einzelne Anstaltsärzte in Schönbrunn Empfehlungen für die Verlegung von Patienten aussprachen, die dann in der Aktion T4 ermordet wurden. Insgesamt wurden 905 Pfleglinge aus Schönbrunn in staatliche Anstalten verlegt. Für 546 ist konkret nachweisbar, dass sie dem NS-Krankenmord zum Opfer fielen.[5]

Vom Diözesan-Caritasverband hatte die Anstaltsleitung allerdings keine Rückendeckung gehabt. Der Verband war erst durch die Neueröffnung der Außenstelle des Städtischen Tuberkulose-Krankenhauses auf die Vorgänge aufmerksam geworden. Dem bayerischen Landes-Caritasdirektor Georg Rudolf Fritz, der zu dieser Zeit wegen der Einberufung des Diözesan-Caritasdirektors Oskar Jandl zugleich den Diözesan-Caritasverband leitete, lagen weder über die Verträge mit der Stadt noch über das Ausmaß der Patientenverlegungen aus Schönbrunn interne Berichte vor, obwohl Schönbrunn dem Verband über betriebliche Änderungen hätte Bericht erstatten müssen. Fritz distanzierte sich intern von der Kooperation. Er hielt in einem Aktenvermerk fest: „Der DCV München-Freising hat in keinem Stadium der Verhandlungen mitgewirkt.“[6]

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[1] Eder: Helfen, S. 465.
[2] Dr. Ilsabe Gestering an das Reichsinnenministerium Berlin, Ursberg,
15.10.1940, Zit. n. Tröger, Gert Paul: Dominikus Ringeisen und sein Werk. Zur Hundertjahrfeier der Ursberger Behinderteneinrichtungen 1884-1984, Ursberg 1984, S. 223; Eder: Helfen, S. 466.
[3] Landesfürsorgeverband Schwaben an Leitung der St. Josephs-Kongregation, Augsburg,
9.11.1940, zit. nach Immenkötter, Herbert: Menschen aus unserer Mitte. Die Opfer der Zwangssterilisierung und Euthanasie im Dominikus-Ringeisen-Werk in Ursberg, 2. Aufl. Augsburg 2009, S. 139; Eder: Helfen, S. 467.
[4] Die NS-Euthanasie-Verbrechen an Bewohnerinnen und Bewohnern der Ursberger Anstalten und Gegenwehr sind vergleichsweise gut aufgearbeitet: vgl. Immenkötter, Herbert: Menschen, S. 53-128; Eder: Helfen, S. 465-473; Wollasch: Caritas und Euthanasie, S. 222; ferner: Lankes, Christian: Klöster in Bayern: Ursberg -(Haus der Bayerischen Geschichte) https://www.hdbg.eu/kloster/index.php/pdf?id=KS0413, zuletzt abgerufen am 7.2.2022.
[5] Vgl. Christians, Annemone: Amtsgewalt und Volksgesundheit. Das öffentliche Gesundheitswesen im nationalsozialistischen München, Göttingen 2013, S. 280-289; Kipfelsperger, Tanja: Die Associationsanstalt Schönbrunn und der Nationalsozialismus. Die Konfrontation einer katholischen Pflegeanstalt mit Zwangssterilisierung, NS-Euthanasie-Maßnahmen und „Klostersturm“, München 2021; Laube, Volker: Fremdarbeiter in kirchlichen Einrichtungen im Erzbistum München und Freising
1939-1945. Eine Dokumentation (Schriften des Archivs des Erzbistums München und Freising, Bd. 7), Regensburg 2005, S. 134; Hohendorf: Euthanasie; zu Handlungsspielräumen v. a. S. 78-83; Siehe auch die übrigen Beiträge in dem Sammelband Sirl/Pfister: Assoziationsanstalt Schönbrunn.
[6] DiCV, AR 312 Assoziations-Anstalt Schönbrunn. Fritz, Aktenvermerk
20.11.1941, - gemeint wohl: der LCV als Hauptvertretung des DCV; Christians: Amtsgewalt, S. 285 f.