Kontakt
Einsatz der Caritas-Sozialstation Neuforstenried, 1978. | © (Foto: Klaus Chwalczyk, Archiv des DiCV München und Freising e. V., Fotosammlung)

Die Gemeinwesenarbeit

Ein neues Konzept Sozialer Arbeit

Bei genauerer Betrachtung der Sozialgeschichte des Raums München offenbaren sich mancherlei desolate Zustände. Ein Bericht aus den Jahren nach dem ersten Weltkrieg beschreibt das Elend und die Zustände in den Vorstädten Münchens. Neben den schlechten Wohnsituationen und den hohen Krankheits- und Sterblichkeitsraten in den östlichen Vorstädten Au, Haidhausen und Giesing erwähnte die damalige Polizeifürsorgerin Charlotte Stemmler auch die chronische Arbeitslosigkeit und den „Sittenverfall“ in diesen Vierteln. Eine Besserung brachte in dieser Zeit die vielfach unterstützte Wohltätigkeitsarbeit.  Subventionierte Armuts- und Jugendhilfe sowie private Helferinnen und Helfer nahmen sich der Situation in den sozial schwachen Stadtgebieten an.[1]

Die Gemeinwesenarbeit als solche hat ihren Ursprung im England des 19. Jahrhunderts. Der englische Vikar Samuel Barnett gründete gemeinsam mit seiner Frau Henrietta die Toynbee Hall – eine Universitätsniederlassung inmitten von East London. Die Idee war, dass die ansässigen Studierenden sich in das Leben der notleidenden Bevölkerung East Londons integrierten.[2] Dieser Gedanke des sogenannten Settlement Movement wurde als ein Gegenstück zur organisierten Einzelfallhilfe in der sozialen Arbeit etabliert und markierte den Anfang der Gemeinwesen- und Sozialraumarbeit.[3]

Bei der Sozialraumorientierung als ein ganzheitliches Fachkonzept der sozialen Arbeit geht es vor allem darum, die Lebensbedingungen aller Menschen in einem spezifischen Sozialraum, also beispielsweise einem Stadtteil, Viertel oder auch einem Dorf, zu verbessern. Priorität haben dabei die Interessen und Bedürfnisse der Individuen. Das Konzept setzt an den Stärken eines/einer jeden Einzelnen an. Als Grundlage des sozialräumlichen Wirkens dienen Kooperationen und Vernetzungen zwischen verschiedenen Einrichtungen und Diensten der freien Wohlfahrtspflege, der kommunalen Verwaltung, der lokalen Wirtschaft und Wohnungswirtschaft, Bildungseinrichtungen, Pfarrgemeinden sowie zivilgesellschaftlichen Initiativen.[4]

Relevant ist die moderne Sozialraumorientierung und Gemeinwesenarbeit besonders in sozial schwachen Stadtvierteln. Im Raum München betrifft dies beispielsweise den Stadtteil Feldmoching-Hasenbergl.[5] In benachteiligten Vierteln spürt ein jeder und eine jede den individuellen Mangel – Arbeit, Einkommen, Bildung, Sprachkenntnisse sowie Perspektiven für das eigene Leben und das Stadtviertel fehlen oft. Um den Problemen entgegenzuwirken, ist es von Bedeutung, alle Ressourcen und Potenziale eines Stadtteils miteinander zu verbinden und so zu bündeln.[6] Hierfür etablierte der Diözesan-Caritasverband in allen fünf Caritas-Gebieten in München entsprechende Stellen für die Sozialraumentwicklung. Die Aufgaben dieser Stellen umfassen dabei die Analyse des Sozialraums sowie die daran anschließende konzeptionelle Weiterentwicklung von Angeboten und die Mitgestaltung von Quartiersentwicklungsprozessen. In der Siedlung Ludwigsfeld des Stadtteils Feldmoching-Hasenbergl schuf der Diözesan-Caritasverband beispielsweise eine Anlaufstelle in Form eines Generationenhauses, bestehend aus einem Seniorenzentrum, einem Kulturtreff für Kinder und Jugendliche, einer Großtagespflege sowie einem Kinderhaus. Zudem wird das Angebot durch ein Familienservicezentrum ergänzt.[7]

Die GWA und Sozialraumorientierung des Diözesan-Caritasverbands konzentriert sich seit jeher auf sozial schwache Stadtviertel und versucht, mit individuellen Konzepten den Sozialraum als Ganzes in den Blick zu nehmen. Im Fokus sollen Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner sowie die Verbesserung des Gemeinwesens in den entsprechenden Vierteln liegen. Inklusion und Teilhabe werden hierbei besonders großgeschrieben.

------------
 

[1] Vgl.: Cartitasverband der Erzdiözese München und Freising e. V. (Hrsg.): 50 Jahre Caritasverband München. 1922-1972. München 1972, S. 66 f.

[2] Wendt, Rainer Wolf: Geschichte der sozialen Arbeit. Von der Aufklärung bis zu den Alternativen und darüber hinaus. Stuttgart 1990, S. 149.

[3] Vgl.: ebd.

[4] Vgl.: Sozialraumorientierung, auf: Caritas Deutschland, https://www.caritas.de/glossare/sozialraumorientierung, letzter Zugriff 19. Januar 2022.

[5] Vgl. auch: Neff, Berthold: Corona in München. “Die Familien sind erschöpft“, in: Süddeutsche Zeitung, 28. November 2021, Kinder in München: Durch Corona haben sich Probleme verschärft - München - SZ.de (sueddeutsche.de), letzter Zugriff 24. Januar 2022.

[6] Vgl.: Durch Stadtteilarbeit das Gemeinwesen stärken, auf: Caritas Deutschland, https://www.caritas.de/fuerprofis/fachthemen/caritas/durch-stadtteilarbeit-das-gemeinwesen-st, letzter Zugriff 19. Januar 2022.

[7] Vgl.: Niebauer, Daniel: Sozialraumentwicklung gemeinsam gestalten – Erkenntnisse einer Sozialraumanalyse des Münchner Stadtviertels Ludwigsfeld, auf: sozialraum.de, https://www.sozialraum.de/sozialraumentwicklung-gemeinsam-gestalten-%E2%80%93-erkenntnisse-einer-sozialraumanalyse-des-muenchner-stadtviertels-ludwigsfeld.php, letzter Zugriff 24. Januar 2022.