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Der Unterstützungsverein für Oberbayern war eine frühe Gründung eines caritativ tätigen weltlichen Vereins zur Linderung vielfältiger Notlagen. Er sollte sich über die Pfarreien und Gemeinden flächig ausweiten. Durch die Unterstützung des Bayerischen Königshauses erhoffte man sich zahlreichen Zuspruch und eine gute finanzielle Ausstattung. | © (Archiv des DiCV München und Freising e. V., Altregistratur)

Welt im Umbruch

Armut im Zeitalter der Industrialisierung

Der schwarze Rauch der Fabrikkamine, das hektische Treiben auf den Straßen, die beengten Wohnverhältnisse in den Mietskasernen – viele Menschen waren im 19. Jahrhundert gezwungen, ihre dörflichen Gemeinschaften hinter sich zu lassen und in der industrialisierten Stadt ihr Glück zu versuchen. Für die einen bot das urbane Leben Chancen, für andere war es eine schiere Notwendigkeit, sich selbst und die Familie versorgen zu können. Diejenigen, die den neuen Anforderungen einer kapitalistischen, industrialisierten Gesellschaft nicht gewachsen waren, oder einfach Pech hatten, sahen sich einer neuen Form von Armut ausgesetzt. Eine effektivere und professionalisierte Form der caritativen Fürsorge war gefordert, um den Herausforderungen der Moderne wirksam begegnen zu können.

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Napoleon war geschlagen - und mit ihm und durch ihn ging eine Ära zu Ende: das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war Geschichte. Nicht nur von politischen Machtstrukturen, wie man sie kannte, musste man sich verabschieden, auch die Kirchen verloren in den deutschen Ländern an Einfluss. Im Zuge der Säkularisation verschwanden die Klöster von den Landkarten, und damit auch eine bis dahin durchaus funktionierende Ordnung der Armenfürsorge.[1] Die Existenzgrundlage der Kirche schrumpfte, alte Strukturen der katholischen Caritas wurden aufgelöst. Was aber im ersten Moment wie ein herber Schlag für die Armutsbekämpfung aussah, sollte sich im Laufe des Jahrhunderts als frischer Wind für eine neue, angepasste Form caritativer Arbeit erweisen.[2]

Denn neue Herausforderungen sollten kommen. Der Übergang von der Landwirtschaft zur Industrie und der ländlichen Arbeits- und Lebensweise zum städtischen Bürgertum brachte zahlreiche Probleme mit sich.[3] Die Bauernbefreiung, Landflucht, Wirtschaftskrisen und die Abschaffung der städtischen Zunftordnung führten zu verarmten Massen ohne soziale Absicherung oder Schutz.[4] Zwar bedeutete der Beginn des modernen Wirtschaftswachstums das Ende der traditionellen Massenarmut, doch brachte es eine neuere und krassere Form der Ungleichheit mit sich.[5]

Es gab einen großen Unterschied, ob man arm in der Stadt lebte, oder auf dem Land. Abgesehen von allgemeinen Hungersnöten und Agrarkrisen war man in der dörflichen Gemeinschaft meist nicht aufs Betteln angewiesen, sondern wurde fast durchgehend notdürftig mitversorgt. In größeren Städten fiel diese Gemeinschaftsleistung oftmals weg, da es Sicherheitsnetze wie Gutswirtschaft, Kloster, Zunft oder auch Haushalt nicht gab, oder man keinen Zugang dazu hatte.[6] Auch die katholische Kirche, deren Geldmittel im 19. Jahrhundert erheblich reduziert wurden, hatte Schwierigkeiten, der ansteigenden Armut entgegenzutreten. Das Spendenaufkommen sank, und zahlreiche alte und neue Ordensgemeinschaften verlegten sich primär auf den Bereich der Krankenpflege.[7]

Neue Akteure waren gefordert, ein funktionierendes System der öffentlichen und privaten Fürsorge zu entwickeln, das neben der aufkommenden staatlichen Sozialversicherung bestehen konnte und den Verlierern der Industrialisierung Halt bot.

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[1] Vgl. Eder, Manfred. Helfen macht nicht ärmer. Von der kirchlichen Armenfürsorge zur modernen Caritas in Bayern. Altötting 1997, S. 62.

[2] Vgl. Maurer, Catherine. Der Caritasverband zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik: Zur Sozial- und Mentalitätsgeschiche des caritativen Katholizismus in Deutschland. Freiburg im Breisgau 2008, S. 24.

[3] Vgl. Sachße, Christoph/Tennstedt, Florian. Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, Band 1: Vom Spätmittelalter bis zum 1. Weltkrieg. Stuttgart 1998, S. 180.

[4] Vgl. Frerk, Carsten. Caritas und Diakonie in Deutschland. Aschaffenburg 2012, S. 128.

[5] Vgl. Sachße/Tennstedt 1998, S. 181.

[6] Vgl. Sachße/Tennstedt 1998, S. 188.

[7] Vgl. Eder 1997, S. 350 f.