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100 Jahre Wegweiser der Nächstenliebe

Caritas München und Oberbayern , München, 22.02.2022

Herausforderung Pandemie und Kirchenreformen

Caritasdirektor Prof. Dr. Hermann Sollfrank erklärte in einer kurzen historischen Rückschau: „Nach den goldenen Zwanzigern forderte die Weltwirtschaftskrise ihren Tribut. Wieder waren Hunger, Kälte und Obdachlosigkeit die zermürbenden Folgen, die die Caritas zu bewältigen half. Die Nachkriegsjahre wiederum waren geprägt vom Elend der Vertriebenen, Kriegsheimkehrer und Geflüchteten aus ganz Europa. In den vergangenen sieben friedlichen Jahrzehnten konnte sich der Caritasverband mit seinen Mitgliedern immer wieder neu fokussieren auf die Bedürfnisse der jeweiligen Zeit: In den 50er-Jahren stand die Familie mit Kinder- und Müttererholung im Mittelpunkt karitativer Arbeit, in den 60er-Jahren Menschen mit Behinderungen und die Gastarbeiter, in den 70er-Jahren wurden viele Altenheime errichtet und 1972 das Kinderdorf Irschenberg. Die 80er- und 90er-Jahre brachten mit Aids, Mauerfall und Balkankrieg neue Aufgaben für die Caritas. Als die Zahl der Asylsuchenden in den 1990er-Jahren und dann erneut ab 2015 stieg, war die Caritas sofort zur Stelle. Für Menschen in Not da zu sein, bleibt unser Credo und wir danken allen Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen ganz herzlich für ihren großartigen Einsatz.“ Zu den aktuellen Herausforderungen zählte Sollfrank die Bewältigung der Coronapandemie und ihrer Folgen, den Mangel an bezahlbaren Wohnungen, die konsequente Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der Erzdiözese München und Freising und zwingend notwendige Reformprozesse in der katholischen Kirche. „Wie werden wir uns als Caritas aufstellen, die wir uns als sozialer Arm der katholischen Kirche verstehen?“ Es gehe um die Weiterentwicklung einer christlichen Unternehmenskultur, die von Vielfalt, Offenheit, Vertrauen und Zutrauen in einer Dienstgemeinschaft und nicht von einem überzogenem Kontrollbedürfnis privater Lebensverhältnisse geprägt sei. Entsprechend sei eine grundlegende Reform des kirchlichen Arbeitsrechtes unumgänglich.

Nach wie vor leisten Frauen die Care-Arbeit

Caritas-Vorständin Gabriele Stark-Angermeier verwies auf Armut und Ausgrenzung: Themen, die in allen Jahrzehnten die Arbeit der Caritas geprägt haben. „Die Unterstützung von wohnungslos gewordenen Menschen, die Versorgung mit Lebensmitteln oder Kleidung und die Beratung von Bedürftigen in allen Problemlagen stehen auch heute noch im Vordergrund.“ Die Lebenssituationen von der Kindheit bis hin zum hohen Alter seien so individuell wie die Menschen. Daher brauche es immer individuelle Lösungen. In den Nachkriegsjahren habe Armut vor allem Mangel an lebensnotwendigen Dingen wie Nahrung, Kleidung und Obdach bedeutet. In dieser Zeit habe die Caritas den Menschen oft die Grundlagen zum Überleben gesichert. Mit dem steigenden Wohlstand der Wirtschaftswunderjahre habe sich das Bild von Armut jedoch gewandelt. „Armut zeigte sich nun vor allem als Mangel an soziokultureller Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“, konstatierte Stark-Angermeier. Hier gelte der Dank den Generationen in der Caritas engagierter Menschen. Traditionsgemäß würden viele Aufgaben im sozialen und pflegerischen Bereich weiterhin von Frauen erledigt. Die helfenden Tätigkeiten hätten sich in den letzten 100 Jahren aber immer mehr professionalisiert. „Gerne hatte man früher das Bild der Ordensfrau im Kopf, die die Familien vor Ort aufsuchte, praktische Hilfe vorbeibrachte und den Menschen mit ihren Sorgen und Nöten zuhörte. Heute haben sich die Beratung und Begleitung, die soziale bzw. Care-Arbeit akademisiert, dennoch ist es weiterhin ein typischer Frauenberuf. Noch heute sind ca. 80 Prozent der in karitativen Berufen Beschäftigten Frauen, bei der Caritas sind es derzeit sogar 84 Prozent.“ Bis 2018 habe es jedoch gedauert bis mit ihrer Benennung eine Frau im Vorstand hauptberuflich tätig wurde, so Stark-Angermeier. Stolz ist die erste Frau im Vorstand des DiCV auch darauf, dass Gleichstellung und ein Karrierenetzwerk für Frauen mittlerweile feste Größen in der Caritas sind.

Mehr Rechte für Menschen mit Behinderungen

Vorstand Thomas Schwarz zeichnete die Tätigkeit des Caritasverbands in der NS-Zeit als ein belastendes Kapitel der Wohlfahrt und der Caritas nach. Er referierte zudem aus seinem Geschäftsbereich „Teilhabe und Inklusion“: „Noch bis ins 19. Jahrhundert wurden Behinderungen, Beeinträchtigungen, jegliches Anders-Sein als Krankheiten gewertet, die es in Heilanstalten zu kurieren galt. Mit der UN-Behindertenrechtskonvention von 2008 verabschiedete man sich endgültig vom defizitorientierten Blick auf Menschen mit Einschränkungen. Ziel der Konvention ist es, Menschen mit Behinderungen gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Sie dazu befähigen, selbstbestimmt und eigenverantwortlich ihr Leben in und mit der Gesellschaft zu gestalten. Kurz: Inklusion zu leben.“ Der Deutsche Bundestag habe daraufhin 2017 das Bundesteilhabegesetz erlassen, das in vier Reformstufen bis 2023 viele Verbesserungen, mehr Möglichkeiten der Teilhabe und mehr Selbstbestimmung vorsehe. „Die Umsetzung ist ein Kraftakt. Der Caritasverband setzt dabei auf innovative und kleinteilige Konzepte wie etwa das inklusive Wohnprojekt ´Inkludo` in Dachau, auf den Ausbau der Schul- und Individualbegleitung und natürlich auf die Errichtung inklusiver Kinderhäuser wie das Haus ´VilstalKinder` der Katholischen Jugendfürsorge und des Einrichtungsverbunds Steinhöring.“ Neben den angespannten finanziellen Rahmenbedingungen treffe der allgemeine Personalmangel in den Care-Berufen den Verband. Der Caritasverband versuche dem auch mit seinen sechs Schulen und vielfältigen beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten entgegen zu wirken, sagte Schwarz.

Zahlen zum Träger- und Spitzenverband

Im Trägerverband arbeiten heute fast 10.000 Mitarbeitende in gut 350 Einrichtungen und Diensten für ca. 70.000 Klientinnen und Klienten. Als Spitzenverband vertritt die Caritas München-Freising 11 weitere katholische Fachverbände sowie mehr als einhundert angeschlossene Mitgliedsorganisationen, die mit gut 30.000 Beschäftigten in über 1.500 Einrichtungen und Diensten mehr als 400.000 Klienten/-innen und Ratsuchende im Jahr betreuen und versorgen.

Digitale Austellung und Hintergrundinfos

Mehr Infos zum Jubiläum gibt es unter www.100-jahre-nah-am-naechsten.de. Hier finden sich multimediale Reportagen und Hintergrundberichte, Veranstaltungshinweise und einen Spendenshop. Ein Highlight: Die digitale Ausstellung, die ein ganzes Jahrhundert wechselvoller Caritas-Geschichte von den Anfängen über die NS-Zeit bis zum modernen Wohlfahrtsunternehmen lebendig macht. (mmr)

von Caritas München und Freising

Ansprechpartner/-in

Caritas Pressestelle

100 Jahre Caritasverband München und Freising e.V.